Tantrische Praxis
Tantra ist keine Religion, sondern eine Praxis
Die tantrische Praxis folgt keinen Glaubenssätzen, sondern sucht die direkte Erfahrung der Wirklichkeit. Sie hat sich der Überlieferung nach tausende Jahre vor der Entstehung heute bekannter Religionen im Tal des Indus südlich von Kaschmir entwickelt.
Durch die Zeiten ist sie immer eine Gegenströmung zu den Religionen geblieben. Manchmal hat sie sich ihrem Zugriff entzogen, indem sie mit neuen Gesichtern erstanden ist. So nützen auch wir diese Praxis, um sie mit neuen, dem westlichen Menschen zeitgemäßen Methoden zu verbinden.
Entweder alles ist heilig oder nichts
Die tantrische Praxis folgt nicht den Spuren der Meisterinnen, sondern dem, was diese gesucht haben.
Die ihr zugrundeliegende Auffassung einer ungeteilten Wirklichkeit läßt sie anarchistisch
und respektlos erscheinen: „Entweder alles ist heilig oder nichts."
Wenn wir für unsere Arbeit die Bezeichnung „Tantra" benützen, so tun wir es daher in Achtung und im Erstaunen vor der Weite des Bewußtseins tantrischer Meisterinnen. Wir tun es mit dem Respekt vor der Weisheit ihrer jahrtausendealten Praxis, in die unsere Seminare nur einen bescheidenen Einstieg bieten können.
Auch ein weiter Weg beginnt mit dem ersten Schritt
Die tantrische Praxis besteht in einer höchstmöglichen Entfaltung der Sinne, um den Körper wieder lebendig zu machen für die überbordende Wirklichkeit.
Welchen Sinn soll es haben, einer Idee der „Verwirklichung" und der Nichtdualität nachzulaufen,
wenn in unserem Körper die Dualität herrscht?
Wie wollen wir eins sein mit dem Kosmos, wenn unser Körper fragmentiert ist?
Tantrische Praxis im Alltag
Zähne putzen, Tee trinken, das Auto vom Service holen, Suppe kochen,
einen Scheck für die Nothilfe in Kaschmir ausfüllen,...
Sich dem Tagtäglichen annähern, es berühren, sich ihm hingeben. Ja: Hingabe!
Dasein mit all der komplizierten Tiefe im Gepäck. Tun, was getan werden will!
Wir trachten nach Begegnung, nach Berührung: die Haut der PartnerIn in meinen Armen, die Brombeere auf meiner Zunge, genauso wie die Türklinke in meiner Hand und der auf mich gerichtete Blick der verzweifelten KlientIn. Wir sind nicht auf der Suche nach den außerordentlichen Ereignissen, sondern folgen der Spur der Liebe zum alltäglichen Sein.
Tantra schließt alles ein. "Besser", "wertvoller", "höher" gibt es nicht. Das Liebemachen steht Seite an Seite mit dem Frühstücken, das orgastische Schwelgen mit stillem Wolkenschauen, und politische Aktion mit Abfall-Entsorgen,...
Berühren und sich berühren lassen von allem, was das Jetzt ausmacht, das ist tantrische Meditationspraxis. Denn in der Tiefe der Berührung entsteht Kontakt, Verbindung mit allen Möglichkeiten unseres Begehrens.
„Eros als die Sehnsucht des Getrennten nach (Wieder-)Vereinigung ist tief in uns angelegt," sagt C.G. Jung, eine Kraft, die dem ganzen Kosmos zugrundeliegt.
Das Instrument für unsere wache Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit im Umgang mit dem Wahrgenommenen ist der Körper. „Weil in Wahrheit in jedem Körper das ganze Universum enthalten ist", wie das Mahanirvana-Tantra sagt.
Wir meinen das auch und geben in unseren Seminaren dem Körper den Vortritt. Der sinnliche Körper wird das Tor zum Leben, der Atem hält ihn lebendig und das sexuelle Begehren erinnert an die tiefste aller menschlichen Sehnsüchte: das Verschmelzen.
Ich begehre die Liebste, die duftende Rose, die sich öffnet, den Menschen, der durch die Flut alles verloren hat. Dieser präsente Kontakt berührt unser Herz, - so wie der innige Blickkontakt zwischen zwei Menschen ihr Herz energetisiert -, und lässt uns ehrlich antworten und authentisch handeln.
Wenn wir bemerken, dass wir die Birne in unserer Hand nicht genießen und in diesem Moment innehalten würden, dann können wir der Angst begegnen. Nicht der offensichtlichen, sondern jener in tausendfacher Verkleidung.
Zu entdecken, was uns hindert den Augenblick unverfälscht zu berühren, ist die wunderbarste Abenteuerreise unserer Existenz zur Fülle im täglichen Leben.